Cover
Titel
Into the Land of Bones. Alexander the Great in Afghanistan


Autor(en)
Holt, Frank L.
Reihe
Hellenistic culture and society 47
Erschienen
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
$24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen

Frank L. Holt, Geschichtsprofessor an der Universität von Houston/Texas, beschäftigt sich in seiner jüngsten Monografie erneut mit seinem Spezialgebiet, Alexanders Eroberung Baktriens. Auf die Krisenhaftigkeit dieses Unternehmens hat er bereits in mehreren Studien hingewiesen.1 Seine neue Untersuchung der Probleme Alexanders in Baktrien und Sogdiana gestaltet sich als eine Parallelisierung der antiken makedonischen Invasion mit den militärischen Vorstößen nach Afghanistan der Briten im 19., der Sowjetunion im 20. und der USA im 21. Jahrhundert. Der Vergleich ist durch zeitpolitische Ereignisse motiviert; die Publikation entwickelte sich aus einer Vorlesung, die nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 in den USA gehalten wurde und vor den Problemen eines Krieges in Afghanistan warnen sollte (S. xi). Diesem Konzept entsprechend wird die Parallelisierung des makedonischen Zuges mit den historischen Beispielen der Neuzeit und den aktuellen Entwicklungen konsequent in den Kapiteln durchgeführt: "Alexander, too, acted in the context of a larger Middle East crisis inherited from his father." (S. 10)

Der Schwerpunkt der Beschreibung liegt auf den Kämpfen Alexanders in der größten und kriegerischsten Satrapie, als die Curtius Baktrien beschrieb.2 Holt ist es dabei ein Anliegen, sich von Tarns romantisiertem Entwurf des idealistischen Weltverbesserers Alexander abzusetzen, der auf einer kulturellen Basis eine "unity of mankind" in den eroberten Gebieten angestrebt habe: "Tarn's sanitized and sanctified account of Alexander's campaigns in and around Afghanistan must give way to the uglier version presented in these pages. Beneath the whitewash, bloodstains run deep." (S. 18)3 In sieben Kapiteln schildert Holt unter dieser Prämisse eine der tiefsten Krisen, in die Alexander in seinem Eroberungszug geriet, in bewusst düsterer Diktion als "desperate struggle" gegen die "Hydra Heads of Bactria" unter "Dark Shadows" (S. 45, 66, 105). Verfolgt wird Alexanders militärischer Vorstoß in die östlichen Gebiete des Perserreichs von seiner Ankunft in Zariaspa im Frühjahr 329 v.Chr. über den Indienzug bis zu einem kurzen Ausblick auf die Seleukiden, Alexanders Erben im Osten.

Im Zentrum der Behandlung stehen als Hauptpunkte die Verfolgung und Bestrafung von Bessos, des baktrischen Satrapen, der nach dem Mord an Dareios III. unter dem Namen Artaxerxes die Position des Großkönigs beanspruchte, sowie die baktrisch-sogdianische Revolte unter Spitamenes, Dataphernes und Katanes. Die Kluft zwischen Alexander und seinem Heer, die sich analog zu der Entwicklung seiner Herrschaftsrepräsentation in Richtung eines Königs von Asien vertiefte, bis es zum irreparablen Bruch kam, symptomatisch offenbart am Hyphasis und bei der Meuterei in Opis, wird von Holt im Kontext der aufreibenden und zermürbenden Kriegsereignisse aufgezeigt: "Alexander's empire had begun falling apart during his reign; his death merely accelerated the process." (S. 120) Holt erweist sich als versierter Experte der Geschichte von Alexanders Vorstoß nach Baktrien und der Krise seines Zuges. Angesichts der Tendenzen auch in der aktuellen Forschung, ein glorifizierendes Bild Alexanders als eines siegreichen jungen Strategengenies zu zeichnen, ist eine solche Spezialstudie, die ein Schlaglicht auf die von der makedonischen Propaganda retuschierte Realität wirft, stets von Bedeutung.

Indes entsteht der Eindruck, dass die Intention des Buches zu einer Darstellung führt, die Alexander und seine Probleme in Baktrien zu einer Folie für zeitpolitische Auseinandersetzungen und zu einer Schablone für politische Statements und Rechtfertigungen gestaltet, was in einer geschichtswissenschaftlichen Analyse über die makedonische Eroberung des Perserreichs deplatziert ist. So fällt die negative Beurteilung des Bessos als eines arroganten, opportunistischen und skrupellosen Verbrechers auf, die unkritisch toposhafte Wertungen aus der griechischen Überlieferung reflektiert, ohne zu berücksichtigen, dass das Fehlen von persischen Quellen, die dieses Zerrbild relativieren könnten, in Rechnung gestellt werden muss (S. 35, 39, 42). Ebenso forciert und als bloße Metapher für eine Thematisierung der Tagespolitik wirkt der kaum abgeschwächte Vergleich von Spitamenes und seinen baktrischen Mitkämpfern gegen den makedonischen Fremdherrscher mit Terroristen, ihre Charakterisierung als unzuverlässige Opportunisten und die Gleichsetzung mit den führenden Köpfen der al-Kaida und Kämpfern der Mudschaheddin (S. 39, 51f., 81f.).4 Dieser Tendenz entsprechend wird Alexanders unerbittliches Vorgehen als Folge des stark negativen Einflusses gezeigt, den Baktrien auf ihn hatte. Betrachtet man jedoch die kompromisslosen Sanktionen gegen Theben 334 v.Chr. oder gegen Tyros 332 v.Chr., so zeigte sich Alexander schon von Beginn seiner Regierung an im Statuieren von Exempeln rigoros.

Holts Publikation verdeutlicht daher die Problematik einer Parallelisierung historischer und aktueller Ereignisse, welche die Gefahr birgt, einseitig und politisierend zu werden und historische Persönlichkeiten zu instrumentalisieren, statt die Ereignisse und ihre Hintergründe differenziert zu analysieren.5 Die These, "there is always a chance [...] that the United States will succeed in Afghanistan where other superpowers have failed" (S. 123), eines der Ergebnisse einer Untersuchung über Alexander in Baktrien, vermag dies zu illustrieren: Holt argumentiert in erster Linie unter zeitpolitischen Gesichtspunkten in einer undistanzierten Haltung, "to provide a useful historical and cultural background for those who ask: On what sort of ground - savage, sacred, or civilized - have we pitched our tents and taken our stand against terrorism?" (S. 16). Die Schrecken des Krieges werden zwar für beide Seiten thematisiert, eine kritische Revision des Urteils über die "Rebellen" Spitamenes oder Katanes mit ihren "Terrormethoden" (S. 82) gegen den "courageous and charismatic" Alexander (S. 85), die de facto als baktrische Fürsten in ihrem eigenen Land gegen den makedonischen Usurpator kämpften, erfolgt jedoch nicht. In diesem Kontext ist an Bosworths diametral entgegengesetztes Konzept zu denken, der Alexanders Terrorregime in seinen letzten Jahren, das bereits Badian als solches charakterisierte, bezüglich der Eroberung Indiens mit Cortéz in Mexiko verglich.6

Die zeitlose Erkenntnis, dass Gewalt in einer Kettenreaktion wiederum Gewalt erzeugt, vermittelte schon Herodot metaphorisch anhand der drastischen Geschichte von Kyros dem Großen und der Massagetenkönigin Tomyris in seinen Historien. Kyros' Blutrünstigkeit, die auch Tomyris' Sohn das Leben gekostet hatte, ließ sie ihn in einer sinnbildlichen Todesart als spiegelnde Strafe büßen: Sie tränkte seinen abgeschlagenen Kopf in Blut.7

Anmerkungen:
1 Vgl. Holt, F.L., Alexander the Great and Bactria. The formation of a Greek frontier in Central Asia, Leiden 1988; Ders. Thundering Zeus. The making of Hellenistic Bactria, Berkeley 1999. Aktuell zum Vordringen Alexanders nach Osten erschien seine Monografie: Alexander the Great and the mystery of the elephant medallions, Berkeley 2003. An Aufsätzen sei exemplarisch zur Münzprägung zu nennen: The Euthydemid Coinage of Bactria. Further hoard evidence from Ai Khanoum, in: Revue Numismatique 23 (1981), S. 7-44; Mimesis in metal: The Fate of Greek Culture in Bactrian Coins, in: Tirchener, F. B.; Moorton Jr., R. F. (Hgg.), The Eye Expanded. Life and Arts in Greco-Roman Antiquity, Berkeley 1999, S. 93-104.
2 Curt. 4,6,3.
3 Vgl. Tarn, W.W., Alexander the Great and the Unity of Mankind, in: Proceedings of the British Academy 19 (1933), S. 123-166. Tarns Alexanderbild als eines idealistischen jugendlichen Abenteurers und Weltverbesserers mit den Zügen eines Heiligen wird ebenso deutlich in seiner Alexanderbiografie: Alexander the Great, Cambridge 1948.
4 "These men are precisely reminiscent of the clan warlords common to modern Afghan history. Terrorists might seem too strong a term for them, but the word does apply in many ways" (S. 51). Über die Unzuverlässigkeit heißt es: "This remains Lesson One today: 'There are no immutable loyalties or alliances in Afghanistan.'" (S. 39) Dies ist allerdings weit allgemeiner gültig, betrachtet man die Weltgeschichte. Den Baktriern wird indes eine "inborn xenophobia" zugeschrieben (S. 81).
5 Vgl. dazu die Analyse von Demandt, A., Politische Aspekte im Alexanderbild der Neuzeit. Ein Beitrag zur historischen Methodenkritik, in: Archiv für Kulturgeschichte 54 (1972), S. 325-363.
6 Vgl. Bosworth, A. B., Alexander and the East. The tragedy of triumph, Oxford 1998, S. 159-165; zum Terrorregime Alexanders in seinen letzten Jahren vgl. auch die noch immer grundlegende Analyse von Badian, E., Harpalus, in: Journal of Hellenic Studies 81 (1961), S. 16-43.
7 Hdt. 1,211-214. Zu Anleihen bei der attischen Tragödie in dieser Passage vgl. Cook, J.M., The rise of the Achaemenids and establishment of their empire, in: The Cambridge History of Iran, Bd. 2, Cambridge 1996, S. 200-291, bes. S. 213.

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